Dies ist mein erster Blogbeitrag ohne Foto von einem wilden Tier. An diesem Tag wollte ich ausnahmsweise mal keinem Tier begegnen. Zumindest nicht in dieser gefühlten Stunde, die mir noch ganze 3 Stunden Herzrasen beschert hat und die ich mein Leben nicht vergessen werde.
Ich war an einem See unterwegs, der von kleinen dichten Wäldchen umgeben ist. Eine wunderschöne Gegend, welche nicht umsonst zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Man kann dort seltene Vögel beobachten und auch der Wolf ist dort zu Hause.
Zum ersten mal wollte ich eine gesamte Runde um diesen ca. 14 Kilometer langen See laufen. Es war sehr heiß an diesem Tag. Um nicht die gesamte Strecke bei knapp 30°C auf Ashalt laufen zu müssen, suchte ich in meiner Wanderapp nach alternativen Wanderwegen und wurde fündig. Es gab zumindest einen kurzen Weg von ca. 1-2 Kilometern mit weichem Boden unter den Füßen, welchen ich auch einschlug.
Die ersten Meter verlief der Weg über eine große, stark bewachsene Wiese. Die Gräser waren etwa brusthoch und ich schien der erste Mensch an diesem Tag gewesen zu sein, der diesen Weg läuft. Überall an meinem Körper klebten Spinnweben, vertrocknete Blüten und Pollen. Kein so wirklich schönes Gefühl, aber das sollte ja bald geschafft sein. Immerhin sah ich schon die ersten Bäume und Sträucher auf mich zukommen.
Die Wiese hatte ich endlich hinter mir und auf den ersten Blick sah der Weg nun auch wieder besser begehbar aus. Bis die ersten Brombeersträucher am Wegesrand auftauchten, die zum Teil auch schon wild über den Weg wuchsen. Gut, es ist ja völlig normal, das im Sommerhalbjahr alles wild wächst. Ich schob also vorsichtig die Ästchen beiseite und lief weiter. Den Blick nach unten gerichtet, das ich nicht in einem der Brombeer-Wüchse hängen blieb.
Mittlerweile dürfte ich um die 800 Meter gelaufen sein. Ein Blick auf meine Wanderapp bestätigte mir, das ich fast die Hälfte dieses Weges geschafft haben sollte. Dann sollte ich doch den Rest auch noch schaffen. Viel schlimmer konnte es ja nicht mehr werden.
Doch! Es ging schlimmer. Immer mehr Brombeersträucher und andere Sträucher mit heftigen Dornen wuchsen über den Weg. Zwischenzeitlich hatte ich die ersten Kratzer an den Armen und Beinen, weil es gar nicht mehr möglich war, alles mit der Hand beiseite zu schieben. Mir schossen etliche Gedanken durch den Kopf. Wann soll denn hier der letzte Mensch durch gelaufen sein? Sollte das wirklich ein offizieller Weg sein, den mir die Wanderapp da gezeigt hat? Ich war in einem Naturschutzgebiet und dort hat man die Wege nicht zu verlassen. Nochmal ein Blick nach unten: ja, es war ein Weg. Zwar schmal, aber definitiv ein Weg. Ein offizieller Weg? Da war ich mir in diesem Moment nicht mehr sicher. Doch er war eingezeichnet. Es gab kein Schild oder einen Hinweis, das man diesen Weg nicht nutzen darf.
Ich sah mich um. Links neben mir war ein Wäldchen. Sehr dicht bewachsen und extrem dunkel. Davor sehr hohes, brusthohes Gras direkt am Wegrand. Rechts neben mir stand nur noch wildes Gewüchs. Sträucher, Gräser, Schilf – eine Mischung aus allem. Kein Mensch weit und breit. Es war einfach nur still. Schon als ich über die große Wiese lief, hatte ich im Hinterkopf, das hier ganz sicher Wildschweine zu Hause sind. Also klatschte ich die ganze Zeit in die Hände, während ich mich durch diesen Dschungel quälte. In der Hoffnung, das die Wildtiere darauf vorbereitet sind, das hier ein Mensch durch läuft und nicht plötzlich ein wildes Tier vor mir steht, weil ich mich zu leise bewegt habe. Auch das hatte ich ja schon oft genug erlebt. Ich wollte weder ein Tier erschrecken, noch wollte ich in dieser Situation einem Wildschwein oder gar einem Wolf begegnen.
Schon lange wünschte ich mir, einmal ein Wildschwein oder einen Wolf vor die Kamera zu bekommen. Aber nicht an so einem Ort, sondern aus einer ruhigen Position heraus, wo sich das Tier weder gestört, noch bedroht fühlt und genug Fluchtmöglichkeiten hat. Aus einer Position, wo auch ich mich notfalls zurück ziehen kann.
Hier war das etwas ganz anderes. Ich befand mich in einer Ruhestätte dieser Tiere. Ich bin unbewusst in ihr Wohnzimmer eingedrungen und hatte dort einfach nichts zu suchen. Sollte ich hier einem Wildschwein begegnen, könnte das für mich böse ausgehen. Und das völlig zu Recht.
Noch nicht ganz zu Ende gedacht, grunzte es plötzlich genau neben meinem linken Bein. Keine 10 Meter entfernt, nein, ganz genau neben mir! Ich konnte das Schwein nicht sehen, dafür war das Gras zu hoch. Dahinter dieser stockfinstere Wald. In diesem Moment stockte mir der Atem und mich überkam ein ganz zittriges Gefühl. Mir war schlecht! Das Wildschein und ich standen direkt nebeneinander. Ich konnte es nur hören, konnte aber nicht erkennen wie es reagiert, weil ich es nicht sehen konnte. Mein Herz raste wie wild. Ich hatte doch die ganze Zeit in die Hände geklatscht. Warum zur Hölle stand nun ein Wildschwein genau neben mir?
Leicht panisch, aber immernoch ruhig genug für so eine Situation klatschte ich weiter in die Hände. Jetzt noch fester. Und ich fluchte ganz laut, warum mir denn die Wanderapp so einen beschissenen Weg anzeigt. Dann grunzte es wieder neben mir und ich hörte das Schwein fliehen.
Für einen Moment fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Ich war dem Tier unendlich dankbar, das es sich von mir entfernt hatte. Dabei wäre es eine bessere Entscheidung gewesen, mich langsam und ruhig zu entfernen, statt Lärm zu machen. Aber ohne das Tier zu sehen, war das nicht wirklich möglich. Doch wo ist es hin gelaufen? Es klang, als wäre es in die Richtung gelaufen, wo ich noch lang musste. Was ist, wenn es weiter vorn wieder auftaucht? Oder ein anderes Wildschwein? Wildschweine leben in Rotten. Das heißt, das ganz sicher noch mehr von den Tieren in der Nähe sind. Aber Moment… hier war nur ein einziges Wildschwein. Ich hatte kein weiteres gehört. Und wenn ein Wildschwein allein ist, dann ist das entweder ein Keiler oder eine Bache mit Frischlingen. Und nun wurde mir richtig schlecht.
Ein Blick auf die Wanderapp zeigte, das ich ca. 80% dieser Höllenstrecke hinter mir hatte. Umkehren kam für mich also nicht mehr in Frage. Ich wollte nur noch dort raus. Und das so schnell wie möglich. Zumal es auf der bereits hinter mir gelassenen Strecke ganz sicher nicht ungefährlicher war, als das Stück, was ich noch vor mir hatte. Also quälte ich mich schnellen Schrittes, weiter händeklatschend und fluchend durch diese schrecklichen Dornenbüsche.
Und dann war der Weg zu Ende.
Vor mir war nur noch dieser extrem dunkle Wald und dieses hohe Gestrüpp zu sehen. Aber kein Weg mehr. Er war ab hier komplett zugewachsen. Dann sah ich einen kleinen Hügel. Ich lief da rauf, denn so konnte ich zumindest ein klein wenig überblicken, was rings um mich geschah. Ich versuchte ruhig zu bleiben, doch mein Köper war überfüllt mit Adrenalin. Ab hier hatte ich komplett die Orientierung verloren. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich versuchte mich zu sammeln. Ich wollte hier raus und niemand konnte mir helfen. Sollte mir hier etwas zustoßen, würde mich niemals jemand finden. Ich fühlte mich schrecklich allein und hilflos. Vollkommen durchgeschwitzt mit weichen Knien und zittrigen Händen kramte ich erstmal ein frisches Wasser aus meinem Rucksack und nahm einen großen Schluck davon. Dann studierte ich die Wanderapp. Irgendwo musste ich doch dort wieder raus kommen. Es waren doch nur noch ein paar Meter. Die App zeigte den Weg durch diesen dunklen Wald. Ich lief kurz in diese Richtung, doch dort gab es keinen Weg. Und auf gar keinen Fall würde ich durch diesen Wald laufen! Also ging ich nochmal hinauf auf diesen kleinen Hügel und schaute von oben, ob ich irgendwo einen Weg erkennen konnte. Nichts.
Langsam verfiel ich in Panik. Ich hatte Angst und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Immer wieder schoss mir die Begegnung mit dem Wildschwein durch den Kopf. Mehrmals lief ich den Hügel runter und wieder rauf, auf der Suche nach einem Weg. Beim ganz genauen hinsehen konnte ich schließlich einen Trampelpfad erahnen. Mitten in einem Gewüchs, was bis über meinen Kopf reichte. Dort musste ich durch und nun konnte ich nicht nur links und rechts von mir nichts mehr sehen, sondern auch nicht, was vor und hinter mir geschah.
Ich rannte durch dieses Chaos, klatschte weiter kräftig in die Hände und rief immer wieder so laut ich konnte: „Ich tu euch nichts! Ich will nur hier raus! Ich will hier weg! Raus aus eurer Ruhestätte! Geht mir aus dem Weg, ihr habt gleich eure Ruhe vor mir. Und nie wieder werde ich euch hier stören! Scheiß Wanderapp! Was zeigt die mir für einen beschissenen Weg! ….“
Bei jedem händeklatschen spritzte mir etwas ins Gesicht. Ich sah meine Hände an. Sie waren mittlerweile komplett blutig von diesen Dornenbüschen und das klatschen regte das ganze noch mehr an. Meine Arme und Beine brannten. Auch sie waren mittlerweile ordentlich zerkratzt.
Das Gestrüpp wurde endlich weniger. Ich konnte wieder drüber hinweg schauen. Endlich!! Und ich sah einen Hochsitz vor mir. Mein erster Gedanke: dort muss es einen Weg aus dieser Hölle geben.
Neben diesem Hochsitz stand ein Baum und daran hing eine Wildkamera, direkt auf mich gerichtet. Prima, dachte ich. Was sollte der Besitzer dieser Kamera denken? Da kommt eine Irre aus dem Irrgarten, in dem kein Mensch etwas verloren hat. Durchgeschwitzt, die Hände voller Blut, Blutspritzer im Gesicht, Arme und Beine zerkratzt, Angst und Panik ins Gesicht geschrieben. Der Ton wurde vermutlich auch noch aufgenommen. Egal, ich musste weiter. Ich wollte nur noch weg dort. Ein kurzer, freundlicher Gruß in die Kamera musste noch sein und dann flitzte ich vorbei. Wenige Meter weiter kam ich an einer zweiten Wildkamera vorbei und dann sah ich Asphalt. Ich war endlich wieder auf einem öffentlichen Weg!!
Mehr als erleichert ging mir nur noch eines durch den Kopf: Danke, das ich hier lebend und ohne größere Verletzungen raus gekommen bin!
Fix und fertig von dieser Aktion trank ich erstmal einen halben Liter Wasser. Einen weiteren halben Liter verbrauchte ich, um mich etwas zu reinigen. Ich zog einige Dornen und eine Zecke aus meiner Haut. Dann wollte ich mich erst einmal an den Wegrand setzen und etwas herunter kommen. Doch es ging nicht. Ich war innerlich so aufgewühlt, das ich 3 Stunden gebraucht habe, bis ich mich setzen und zur Ruhe kommen konnte. Nie wieder werde ich mich auf eine App verlassen. Lieber bekomme ich Blasen an den Füßen vom Asphalt, als mich noch einmal in so eine brenzlige Situation zu begeben und/oder Wildtiere in ihrem Lebensraum zu stören, den sie ohnehin kaum noch haben.
Wow,was für ein Krimi! Hochspannung pur mit Gänsebraten Effekt. Gut,dass du es heil überstanden hast.
Oha! Da warst du wohl eher auf einem Wildwechsel unterwegs.
Das war eher das Wild-Wohnzimmer. Ein Ort, wo man als Mensch nichts verloren hat.
Endlich Jemand der mir mal sooooooo aus der Seele schreibt. Nur zu gut kenne ich das Gefühl von Panik im Gelände und tatsächlich sind es auch immer die Wildschweine, die mir solch eine Angst einjagen. Du schreibst so schön, wir begeben uns in deren Wohnzimmer und genau so empfinde ich es auch. Dennoch will man die Tierwelt nicht erschrecken, geht als leise und respektvoll durch’s Gelände. Aber genau dann passiert so etwas. Nie werde ich vergessen, wie ich einen Weg vom Wald umgrenzt langgegangen bin und einer Bache mit ihren Frischlingen begegnet bin. Leider befand sich ein Frischling noch rechts von mir, der Rest der Familie ist der Bache gefolgt. Da stehe ich also mit Herzrasen auf dem Weg und werde mit Blicken von der Bache getötet. Laut sage ich zu ihr, alles gut ich gehe ja wieder.
Auch ich habe mich für ein Lautstarken Rückzug entschieden und auf meinem Handy ein Radio abspielen lassen. Schlagermusik, die ich sonst nie höre;))))
Wieder weiter vorne in einem eher „ungefährlichen“ Bereich angekommen, steht auf einmal ein Keiler mitten im Wasser und ist auf Nahrungssuche. Das war dann wirklich zu viel für mich.
Danke für den ausführlichen Bericht, den ich so sehr nachempfinden kann.
Meine Güte, da hast Du ja auch was erlebt :o Ich glaube, dieses Gebiet hätte ich für immer und ewig gemieden :D
Wildschweine wollen ja eigentlich auch nur ihre Ruhe und gehen uns Menschen aus dem Weg. Wir sollten das respektieren. Nur leider nimmt der Platz für sie immer mehr ab und wir müssen uns damit abfinden, ihnen doch hin und wieder über den Weg zu laufen.
Eine wirklich sehr gut gestaltete Webseite mit ganz vielen tollen Fotos und sehr gut geschriebenen, teils auch sehr emotionalen Texten. Bemert habe ich, dass hier viel in der „Jägersprache“ betitelt wurde, aber nicht alles….. Denn dann müssten die Ohren beim Reh als Lauscher bezeichnet werden. Solche kleinen Sachen gibt den Texten allerdings , nach meinem Gefühl, wiederum einen lockeren, fast niedlichen Charakter.
Vielen lieben Dank, Heiko. Auch dafür, das ich in Deinem Kommi direkt wieder etwas dazu lernen durfte :)